Milovan Djilas, Autor der „Neuen Klasse”, einst im kommunistischen Jugoslawien zweiter Mann nach Tito, zerstört in der „Unvollkommenen Gesellschaft” die Legende von der Wissenschaftlichkeit der Lehren von Karl Marx und Lenin; er beweist ihre Unvereinbar- keit mit der Wirklichkeit des Menschen in der Natur.
Den tatsächlichen Ereignissen ist der politische Seher Milovan Djilas stets um einige Schritte voraus: Er verkündete die Lehre vom eigenen Weg zum Sozialismus jedes kommunistischen Staates, als noch Stalin allmächtig war. Und nur in Jugoslawien wurde seine Idee von der Selbstverwaltung der Betriebe durch die Arbeiter verwirklicht; die Ostblockländer halten sie noch heute für Ketzerei. Als er in der „Neuen Klasse” das kommunistische Dik- tatursystem als Herrschaft einer bürokratischen Minderheit entlarvte, mußte er selbst in seiner Heimat ins Gefängnis. Heute aber ver- suchen Jugoslawiens Kommunisten den von Djilas vorausgesagten Verfall der Partei durch Reformen abzuwehren, wie er sie damals forderte.
Doch inzwischen ist Djilas schon wieder weiter vorwärtsgeschritten: In der „Unvollkommenen Gesellschaft” analysiert er die Ursachen für das Scheitern der marxistischen Idee in der Praxis. Er gelangt zu dem Schluß, daß die Gesellschaftslehre des Kommunismus der Natur widerspricht, weil sie die Freiheit des Menschen mißachtet. Djilas wirft den Kommunisten vor, daß sie vor Liebe zum abstrakten,künftigen’ Menschen hinschmelzen, während sie gleichzeitig den realen und lebendigen Menschen knechten und vernachlässigen”. Dem stellt Djilas einen neuen, undogmatischen, nicht idealisierten, existentiellen Humanismus” entgegen. Zwingend beweist Djilas, daß der „monolithische” Kommunismus ein Unding ist, nur möglich, wenn Menschen und Völker in der schlimmsten Weise vergewaltigt werden. Und nur dort kann ihm ein vorübergehender Erfolg beschieden sein, wo der Kommunismus eine revolutionäre Phase in der Entwicklung der nichtindustriellen zur industriellen und nachindustriellen Gesellschaft darstellt. So mächtig und unbesiegbar die revolutionäre Bewegung und die Organisation der Gewalt durch den Kommunismus auch sein mochten, so unfähig ist er zur Bewältigung der Probleme der modernen Gesellschaft, die der Freiheit zu ihrer Existenz bedarf. Der Kommunismus zerstört seine eigene Basis, indem er alle anderen Ideen unterdrückt und alle anderen politischen Strukturen vernichtet. Aus der Industriegesellschaft, deren Form der Kommunismus selbst zurechtgestutzt hat, keimen neue Kräfte. Zunächst sind sie noch das schlechte Gewissen des Kommunismus, aber bald werden sie eine reale bewußte Macht sein; mehr oder weniger fest organisiert, aber von der eigenen Kraft überzeugt. Nicht mehr eine Diktatur des Proletariats die stets zu einer Diktatur der „Neuen Klasse” wird – kann das Ziel dieser neu entstehenden Kraft sein. Vielmehr sieht Djilas eine Zukunft vor- aus, in der eine in Freiheit organisierte Gesell- schaft entsteht, in der jeder Zwang verpönt und jedem Menschen das Recht gewährleistet ist, frei zu leben, zu wirken und zu denken. Die Plakette des Freiheitspreises 1969, die Milovan Djilas in New York überreicht wurde, trägt die Inschrift:,,Dem heldenhaften Führer und Rebellen seine Vernunft und sein Gewissen machten ihn zum Feind der Tyrannei.”